Bericht in der FAZ vom 22. November 1997

Das Pfälzer Leibgericht ist die Spezialität von Metzgermeister Hambel in Wachenheim / Ulla Hofmann berichtet

WACHENHEIM/PFALZ, 21. November. Freitags in Wachenheim lacht des Pfälzers Herz: Da liegen im Hof der Metzgerei auf langen Abkühl-Tischen zu Dutzenden die Saumägen aus der Wurstküche von Klaus Hambel - klein wie ein Kinderkopf für den Zwei-Personen-Haushalt, groß wie ein Kürbis für das Pfälzer Buffet. Der Familienbetrieb in der Hintergasse in Wachenheim hat Karriere gemacht, seitdem Kanzler Kohl in langen Regierungsjahren für sein und der Pfälzer Leibgericht die Werbetrommel gerührt hat. Denn Hambel in Wachenheim ist spezialisiert auf Pfälzer Saumagen. Er beliefert damit nicht nur die Pfälzer Spitzengastronomie, Hotelküchen in ganz Deutschland, die ICE-Speisewagen oder die Erste Klasse der Lufthansa, sondern auch den Privathaushalt des Bundeskanzlers im nahen Ludwigshafen-Oggersheim. "Nein, wir schicken ihn nicht, er läßt ihn abholen", erläutert Klaus Hambel die Einkaufsgewohnheiten seines prominentesten Kunden.

Gottlob - denn mit dem Versand hat Klaus Hambel seine Mühe, seitdem die Nachfrage nach seinen Saumägen steigt und steigt. Früher hat er in der Woche fünfzehn Saumägen gefüllt, jetzt sind es mitunter über hundert, mit einer Spitze im Oktober, wenn die Pfalz sich während der Weinlese in allen Farben des Herbstes zum Touristenmagnet entwickelt und die Gäste zusammen mit dem Wein das bekannteste kulinarische Souvenir mit nach Hause nehmen. Die Zuwachsraten von jährlich 10 bis 15 Prozent haben schon zum Umbau der Metzgerei und zur ständigen Vergrößerung der Belegschaft geführt - und noch ist kein Ende der Nachfragesteigerung in Sicht. Hambels Stammkundschaft lebt in der Pfalz und in einem Raum, der etwa von Saarbrücken, Stuttgart, Koblenz und Frankfurt begrenzt wird, während der Versand in das übrige Bundesgebiet, auch nach Frankreich und Spanien geht.

In der Pfalz, genauer im Weinanbaugebiet zwischen Pfälzerwald und Rhein, hat wohl jede Gastwirtschaft den Saumagen auf der Speisekarte. Auch eine altbekannte Weinlage, der "Kallstadter Saumagen", hat die Bezeichnung entlehnt. Aber bereits jenseits des Rheins um Mannheim und Heidelberg wird die Speise weitaus seltener aufgetischt. Wahrscheinlich ist der Saumagen ein Nebenprodukt der Hausschlachtungen in den bäuerlichen Betrieben, wo nach dem Mittagessen Wellfleisch und Pellkartoffel übrigblieben und auch noch ein Schweinemagen vorhanden war. Die Überlegung sparsamer Hausfrauen mag einst zu dieser Form der Resteverwertung geführt haben. Keineswegs ist der Saumagen ein fettes Gericht. Die weißen Würfel, die Unkundige so oft mit Mißtrauen betrachten, sind kein Speck, sondern Kartoffeln. Hambel in Wachenheim gibt den Fettanteil seiner Spezialität mit höchstens 5 Prozent an. Dieser Metzger füllt seine Saumägen nach immer dem gleichen Qualitätsrezept, das er sogar preisgibt: 40 Prozent extrem mageres Schweinefleisch, je zur Hälfte vom Nacken und vom Schinken, 30 Prozent gekochte und gewürfelte Kartoffeln der festkochenden Sorte Quarta, 30 Prozent Schweinemett, dazu Salz, Pfeffer, Muskat, Koreander und original Thüringer Majoran.

Der gefüllte und zugebundene Saumagen wird mehrere Stunden eher gegart als gekocht. In der Pfalz wird er in dicke Scheiben geschnitten, auf beiden Seiten in Butter knusprig braun gebraten und zu Sauerkraut und Kartoffelbrei gereicht. So wurde Hambels Saumagen auch beim Münchner Weltwirtschaftsgipfel 1992 oder bei der UN-Vollversammlung im September 1996 in New York serviert, wo Bundesaußenminister Kinkel ein Pfälzer Buffet in Auftrag gegeben hatte. Seit Kanzler Kohl die Staatsgäste mit Pfälzer Saumagen verwöhnt, hat dieses köstliche Bauerngericht nicht nur eine glanzvolle Renaissance, sondern eine Metamorphose erlebt. Auch Metzger Hambel verfeinert auf Wunsch seinen Saumagen inzwischen - vorwiegend für die Hotellerie mit Rosinen, mit Champignons, mit Morcheln und Pfifferlingen oder auch mit Kastanien.

Im "Deidesheimer Hof' im nahen Deidesheim, wo Gastronom Arthur Hahn und Sterne-Koche Manfred Schwarz die Staatsgäste bewirten, hat zur Erheiterung der Pfälzer, die auch den Ursprungsnamen ohne Scheu aussprechen, inzwischen ein "Ferkelmagen" seinen Einzug gehalten. Das alteingesessene Pfälzer Gasthaus, das auch Hambels Spezialitäten führt, reicht eine Fülle eigener Saumagen-Kreationen, vom Saumagen-Carpaccio bis zum getrüffelten Spanferkelmagen. Margret Thatcher kostete im "Deidesheimer Hor' 1989 noch etwas reserviert von den Pfälzer Spezialitäten. Gorbatschow war ein Jahr später davon sehr angetan. Der Queen wurde der Saumagen im Intercity Dresden-Leipzig 1992 vorsichtshalber von Manfred Schwarz nur als Amusegueule gereicht, ebenso wie später John Major. Boris Jelzin war begeistert - ebenso wie Frankreichs Spitzenkoch Paul Bocuse oder kürzlich Spaniens König Juan Carlos. "Sie haben einen neuen Saumagen-Fan gewonnen", verabschiedete sich Helmut Kohl nach dem spanischen Besuch vom Deidesheimer Hof. Die Pfälzer wundert's nicht.